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Adipositaschirurgie im Wandel

Wohin geht die Reise?

Prof. Dr. Rudolf A. Weiner

Die Krankheit Adipositas breitet sich weltweit weiterhin ungebremst aus. Die entwickelten Länder, wie Deutschland, sind dabei besonders betroffen. Nur eine gesamtgesellschaftliche Präventionsstrategie könnte diese Entwicklung aufhalten, doch diese ist nicht in Sicht. Die Therapie mit operativen Maßnahmen am Magen ist die effektivste Behandlungsmethode, die jedoch gerade in unserem Land wider besseren Wissens vielen Betroffenen ohne Begründung vorenthalten wird. (1)

Adipositas weltweit
Abb. 1 Anteil adipöser Erwachsener (BMI>30) in % der Bevölkerung 2014 – Quelle WHO http://gamapserver.who.int/mapLibrary/Files/Maps/Global_Obesity_2014_BothSexes.png

Das Jahr 2016 kann ein Wendepunkt in der Geschichte der Adipositasbehandlung in Deutschland werden. Warum kann man eine grundlegende Änderung der Situation erwarten? Dafür sprechen verschiedene Faktoren, zu denen die Publikation der neuen internationalen Richtlinien für die Entscheidung zur operativen Intervention zählen, die im Mai publiziert wurden (Indications for surgery for obesity and weight related diseases, veröffentlicht Obesity Surgery, Mai 2016), und dazu kommt die erste gemeinsame Tagung von Chirurgen und DAG (Deutsche Adipositasgesellschaft e. V.) während der ersten Adipositastage im November 2016.

Es ist übrigens die erste Änderung der Richtlinien seit 1991 und 1993 (NIH-Consensus Conference USA). Es hat immerhin ein viertel Jahrhundert gedauert, ehe sich hier Veränderungen ergeben haben.

Beide Aktivitäten, Leitlinien und Obesity Days 2016 sind eng mit unserer Klinik in Offenbach verbunden, denn immerhin drei Personen haben an der internationalen Richtlinie mitgewirkt (Prof. Dr. Rudolf Weiner, Dr. Christine Stier, Dr. Sonja Chiappetta) und ich selbst darf erstmals als Chirurg die Jahrestagung der Adipositasgesellschaft leiten. Das sind Veränderungen, die noch vor 10 Jahren unvorstellbar waren. Das Thema ist brennend aktuell.

Adipositastag: jedes Jahr im Mai

Doch ein ganz besonderer Auftakt und ein besonderer Effekt werden von den Aktionen zum Adipositastag 2016 erwartet.

Die European Association for the Study of Obesity (EASO) hat es sich deshalb zur Aufgabe gemacht die Öffentlichkeit für dieses alarmierende Gesundheitsproblem zu sensibilisieren und hat zu diesem Zweck den „European Obesity Day“ ins Leben gerufen. Dieser fand in diesem Jahr unter dem Leitmotiv „Handeln für eine gesündere Zukunft“ am 21. Mai 2016 europaweit statt. Ziel ist es eine neue und enge Zusammenarbeit zwischen dem Gesundheitssystem, der Politik und der Bevölkerung zu erwirken, um das dringend notwendige Bewusstsein für die Adipositas und deren Begleiterkrankungen zu schärfen, dabei Krankheitszusammenhänge darzustellen und immer noch bestehende und fest verankerte Vorurteile auszuräumen. Anstoß der Initiative war eine Studie der EASO (in Zusammenarbeit mit Opinium resarch LLP und Medtronic) aus dem Jahr In dieser wurden ca. 14.000 Menschen aus sieben europäischen Ländern (Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Deutschland, Italien und England) zum Thema Adipositas befragt (3). Im Ergebnis zeigte sich bei vielen Europäern nicht nur ein Informationsdefizit für den Zusammenhang zwischen Adipositas und deren Folgeerkrankungen, sondern auch ein fehlendes Bewusstsein für das eigene Körpergewicht. Drei Viertel der adipösen Menschen bezeichnete sich als lediglich „übergewichtig“.

Abb.2 Adipöse, die sich selbst lediglich als übergewichtig bezeichnen

Mehr als die Hälfte der Befragten war nicht darüber informiert, dass Adipositas das Risiko für Herzkreislauferkrankungen und Schlaganfall erhöht, jeder vierte Befragte war sich nicht darüber im Klaren, dass Adipositas ein Risiko für Herzerkrankungen und Diabetes mellitus Typ 2 darstellt und 84% der Befragten wussten nicht, dass Adipositas das Risiko für verschiedene Krebsarten erhöht.

Eine Modellrechnung basierend auf Gesundheitsdaten aus 53 europäischen Ländern zeigt, dass im Jahr 2030, bei einer Reduktion des BMI der Bevölkerung um 1 % respektive 5 %, eine nennenswerte Anzahl von Fällen obengenannter Krankheiten vermieden werden könnten. (2)

Abb. 3 Prognose der kumulierte Anzahl vermiedener Fälle pro 100.000 Einwohnern im Jahr 2030 bei einer Reduktion des BMI um 1 % bzw. 5 %

Die häufigste und am meisten unterschätzte Nebenerkrankung, ist die Fettleber, die aufgrund der chronischen Entzündung zur nicht-alkoholischen Leberentzündung und letztendlich zur Leberzirrhose oder gar zum Leberkrebs führen kann. Bei der gegenwärtigen Entwicklung ist damit zu rechnen, dass diese Entwicklung zu einem rasanten Anstieg der Lebertransplantationen führen wird.

Aber auch viele andere Krebsarten nehmen bei langer bestehender Adipositas zu. Bei Männern um den Faktor 1,68 und bei Frauen sogar 2,51. Bei den Frauen erhöht sich die Sterblichkeit bei Cervix-Karzinom mit 3,2 und Niere 4,75 und Gebärmutter 6,25 besonders hoch (5). Das ist alles seit langem bekannt, doch setzen sich diese Erkenntnisse so langsam in die Praxis um.

Das Hauptproblem in Deutschland stellt nach wie vor die oftmals fehlende Kostenübernahme der Operation durch die Krankenkassen dar, da hier zu Lande immer noch die Einsicht fehlt, dass damit eine Erkrankung behandelt wird. Die Namensgebung für den am 25. Mai ausgerufenen “Save a life” Day erfolgte, weil es gerade in Deutschland immer wieder zu Fällen kommt, wo schwer übergewichtigen und dadurch kritisch Kranken die Kostenübernahme zur Operation durch die Krankenkasse verwehrt wird.

Prävention als zentrale gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Aus diesen Gründen muss die Therapie der Adipositas und ihrer assoziierten Erkrankungen grundlegend in unserem Gesundheitssystem verankert sein. Die Notwendigkeit für eine Intensivierung und Erweiterung von Präventionsmaßnahmen ist unbestritten. Denn mit zunehmender Dauer und Ausprägung der Adipositas wird die Therapie immer schwieriger, komplexer und teurer. Überschreitet die Adipositas eine bestimmte Körperfettmasse, ist deren Krankheitswert einer Tumorerkrankung gleich zu setzten, wobei Letztere im allgemeinen Bewusstsein problemlos als unverschuldete Krankheit verankert ist.

Hingegen ist die Adipositas eine stigmatisierende Erkrankung mit geringer gesellschaftlicher Akzeptanz.

Dies hat für die Patienten oft einen sozialen Rückzug, verbunden mit einer erhöhten Inzidenz an psychologischen Störungen und psychiatrischen Erkrankungen wie der Depression, zur Folge. (6,7)

Prävention der Adipositas muss daher ein grundlegendes Ziel sein, um das Bewusstsein für den eigenen Körper und vor allem für einen gesunden Lebensstil in der Bevölkerung zu steigern. Eine gesunde Diät mit einer ausgewogenen Energiebilanz und regelmäßige körperliche Aktivität sollten zu diesem Zweck in den Lebensalltag integriert werden.

Denn auch wenn die Ursachen der Adipositas vielschichtig sind, so ist der moderne Lebensstil – häufig bestehend aus Bewegungsmangel, Fehlernährung, hohem Konsum energiedichter Lebensmittel, Fast Food, zuckerhaltigen Softdrinks und vor allem auch Stress – der Hauptgrund für die stetige Gewichtszunahme in der Bevölkerung. Eine Änderung der für Adipositas förderlichen Lebensbedingungen muss dringend ein gemeinschaftliches Ziel in der Gesellschaft darstellen.

Schon im Jahr 2007 wurde durch die Deutsche Adipositas-Gesellschaft e.V. ein „Nationaler Aktionsplan gegen das Übergewicht“ erstellt. Dieser folgt der Europäischen Charta zur Bekämpfung der Adipositas und bildet den Handlungsrahmen für erfolgreiche Maßnahmen im Kampf gegen das Übergewicht in Deutschland. Die universale oder primäre Prävention gliedert sich laut Müller et al. in die Verhaltens- und die Verhältnisprävention. Setting bezogene Ziele (Verhältnisprävention) sind die Förderung gesunder Ernährung und körperlicher Aktivität in Kindergärten, Schulen, Betrieben/Arbeitsplätzen und Kommunen. Auf die Gesamtbevölkerung bezogene Ziele (Verhaltensprävention) sind die Verbreitung des Wissens über die Bedeutung von gesunder Ernährung, von Bewegung, von weniger Inaktivität, von gesundem Körpergewicht, von verantwortlichem Medienkonsum und von Gesundheit. Die Fokussierung soll dabei auf sozial schwache Bevölkerungsschichten erfolgen. Es gilt die Entwicklung von Übergewicht und Adipositas zu vermeiden. Einmal aufgetreten, ist dieser Erkrankung mit herkömmlichen Mitteln eines auch noch so hochkomplexen, multimodalen Behandlungsverfahrens nicht mehr effektiv beizukommen.

Grundlegend für die Therapie der Adipositas ist das Verständnis dafür, dass Adipositas eine chronisch fortschreitende Erkrankung mit extrem hoher Rückfallneigung ist. Das Fettgewebe, als größtes hormonales Organ des Organismus, ist beim Adipösen darauf eingestellt, stets sein höchstes Füllungsvolumen wieder zu erreichen.

Das höchste Gewicht im Leben zählt für immer

Das ist eine bittere Erkenntnis, aber ist ein evolutionärer Mechanismus, dem wir nicht entweichen können. Aus diesem Grund sollte jeder Therapieansatz über die eigentliche Phase der Gewichtsabnahme hinaus eine langfristige Gewichtskontrolle sicherstellen.

Das multimodale Konzept ist auf dem Prüfstand

Konservative Programme zur Therapie der Adipositas beinhalten ein multimodales Konzept bestehend aus Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie. Ihre Wirksamkeit ist wissenschaftlich nicht ausreichend evidenzbasiert nachgewiesen und deshalb umstritten. Die aktuellen kommerziellen Gewichtsreduktionsprogramme kombinieren meist eine initial sehr niedrig kalorische Kost mit Formulaprodukten, Bewegungssteigerung und Verhaltensmodifikationstraining mit dem Ziel einer langfristigen Ernährungsumstellung. Die verschiedenen Programme, wie M.O.B.I.L.I.S., DOC WEIGHT® oder Optifast®, werden deutschlandweit als ambulante Therapiekonzepte unter ärztlicher Betreuung angeboten.

Die grundlegende Problematik der konservativen Therapiemodelle stellt jedoch die mangelnde langfristige Gewichtskontrolle dar.

Zudem ist bei Patienten mit einem BMI ≥ 40 kg/m2 häufig eine Gewichtsabnahme von über 50 kg notwendig und das ist durch konservative Programme nicht zu verwirklichen. Dies ist darin begründet, dass die physiologische Regulation des menschlichen Energiehaushalts äußerst komplex und widerstandsfähig gegen kurzfristige Veränderungen ist. Dabei gilt, dass eine Anpassung an einen Nahrungsüberschuss mit einer Speicherung von Energie leichter erfolgt als eine Anpassung an Nahrungsknappheit (8). Hingegen besteht die physiologische Reaktion des Körpers auf eine negative Energiebilanz in der Reduktion des Energieumsatzes, um eine möglichst effiziente Kalorienverwertung in Zeiten der Nahrungsknappheit zu erreichen und so den drohenden Hungertod abzuwenden. Dabei kann der Grundumsatz während einer Diät – unabhängig von dem Ernährungsstatus und der Ausprägung des Übergewichtes – auf bis zu einem
Drittel des Ursprungswertes abfallen. Damit einher geht eine Steigerung des Hungergefühls, so dass der Patient im Rahmen der Diät stetig bei steigendem Hungergefühl immer weniger essen darf, um nicht erneut zuzunehmen (9).

Zudem stellen Adipositas-assoziierte Erkrankungen und Super-Adipositas (BMI ≥ 60 kg/m2) ein grundlegendes Problem für die Bewegungstherapie dar. Ebenso sind kaum Plätze für die Verhaltenstherapie vorhanden und nur wenig spezifisch geschulte Psychotherapeuten mit Verständnis für die Pathogenese dieser chronischen Krankheit existent.

Adipositaschirurgie ist die effektivste Methode zur Behandlung von Adipositas und deren Folgeerkrankungen

Die aktuell einzige effektive und langfristige Behandlung der morbiden Adipositas und ihrer Begleiterkrankungen stellt die Adipositaschirurgie dar. Sprach man in den 90er Jahren noch von bariatrischer Chirurgie (griechisch βαρος: Schwere, Gewicht), also der Chirurgie des Übergewichtes, so hat sich in den letzten Jahren aufgezeigt, dass die Adipositaschirurgie nicht nur mit einem Gewichtsverlust, sondern auch mit einer, allen medikamentösen und konservativen Therapien weit überlegenen Verbesserung der Adipositas-assoziierten Erkrankungen einhergeht. Es ist mittlerweile nachgewiesen, dass der adipositaschirurgische Eingriff in nahezu jedem Fall zu einer relevanten Verbesserung des metabolischen Syndroms einschließlich des Diabetes mellitus Typ 2 und dadurch zu einer ebenso relevanten Erniedrigung des kardiovaskulären Risikos (10-13) führt. Dies resultiert in einer beeindruckenden Erniedrigung der Mortalität (14).

Darüber hinaus wird in der aktuell gültigen Leitlinie der Internationalen Diabetes Föderation (IDF) eine metabolische/bariatrische Operation bei schlecht einstellbarem Typ 2 Diabetes ab einem BMI von 30 kg/m², respektive bei Asiaten ab einem BMI von 27,5 kg/m², empfohlen. Die Empfehlung basiert auf der Tatsache, dass in prospektiv randomisierten Studien eine sehr gute antidiabetische Wirkung bis hin zur vollständigen Rückbildung bei über 40 % der Patienten aufgezeigt werden konnte (15).

Es hat sich gezeigt, dass vor allem adipöse Patienten mit metabolischem Syndrom und funktionellen Beeinträchtigungen von den adipositaschirurgischen Eingriffen profitieren. Das grundlegende Konzept dazu wurde im Jahr 2009 von der Arbeitsgruppe um Sharma et al. erstellt (18). Der adipöse Patient wird in dem sogenannten Edmonton Obesity Staging System (EOSS) unabhängig vom Body Mass Index (BMI), sondern vielmehr anhand seiner Komorbiditäten, psychologischen Beschwerden und körperlichen Beeinträchtigungen in 5 unterschiedliche Kategorien eingeteilt (EOSS 0-4). In einer Longitudinalstudie mit 29 533 Patienten und einer Beobachtungsdauer von 16.2 Jahren konnte die Arbeitsgruppe aufweisen, dass mit zunehmendem EOSS das Mortalitätsrisiko ansteigt und somit vor allem Patienten mit einem EOSS ≥ 2 von einer Operation profitieren (19). Unsere eigenen Ergebnisse haben dies bestätigen können (20). Wir setzten dieses System von Anfang an ein.

In der AWMF Leitlinie Adipositas – Prävention und Therapie und in der S3-Leitlinie: Chirurgie der Adipositas sind die Indikationen zum noch klar in Bezug auf den BMI formuliert (21,22):

  • Bei Patienten mit einem BMI ≥ 50 kg/m2 ohne Kontraindikationen besteht nach umfassender Aufklärung die Primärindikation zur bariatrischen Operation.
  • Bei Patienten mit einem BMI ≥ 40 kg/m2 ohne Kontraindikationen ist nach Erschöpfung der konservativen Therapie nach umfassender Aufklärung eine bariatrische Operation indiziert.
  • Bei Patienten mit einem BMI zwischen 35 und 40 kg/m2 und mit einer oder mehreren Adipositas – assoziierten Folge-/Begleiterkrankung (z.B. Diabetes mellitus Typ 2, koronare Herzkrankheit, etc.) ist ebenfalls eine chirurgische Therapie indiziert, sofern die konservative Therapie erschöpft ist.

Auf diesem Weg wird zudem aber schon auf die aktualisierte chirurgische S3-Leitlinie verwiesen, welche in diesem Jahr erscheinen wird.

Operationsverfahren

Effektive adipositaschirurgische Eingriffe sind das Magenband, der Schlauchmagen (Sleeve gastrectomy) der proximale Roux-Y Magenbypass, der Omega-Loop Magenbypass (MGB: Mini-Magenbypass), die Biliopankreatische Diversion nach Scopinaro, die Biliopankreatische Diversion mit Duodenal Switch, die Biliopankreatische Diversion nach Larrad und der Single Anastomosis Duodenal-Ileal Bypass (SADI).

Dabei gehen die Wirkungsweisen der Operationen weit über die traditionellen Konzepte der Nahrungsrestriktion und Malabsorption hinaus (23,24). Vielmehr kommt es durch die anatomische Umstellung des Verdauungstraktes und der fundamentalen Veränderung des Nahrungs- und Galleflusses zu komplexen metabolischen Umstellungen und Anpassungsvorgängen. Der Verdauungstrakt dient somit als physiologische Schaltzentrale und beeinflusst über eine veränderte Nahrungsfermentierung (25) und deren Aufnahme (26) sowie über veränderte hormonale und neuronale Signale unterschiedliche Organsysteme (27). Vor allem die Veränderungen der Gallensäuren, sowohl im peripheren als auch portalen Blut sowie im Darminneren mit der damit einhergehenden Veränderung des Mikrobioms sowie neuro-endokrine Aspekte der veränderten Nahrungsaufnahme nach Roux-Y Magenbypass scheinen die vorherrschenden Wirkmechanismen zu sein. So zeigen Studien, dass es bei einer Magenbypass vermittelten Gewichtsabnahme beispielsweise nicht zu einem Anstieg des Hungergefühls und der zu erwartenden Reduktion des Energieumsatzes kommt. Es werden vielmehr eine Reduktion des Hungergefühls (28) und eine Erhöhung des Grundumsatzes beobachtet (29). Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass die Magenbypass vermittelte Gewichtsreduktion auch durch eine Veränderung der Nahrungspräferenz hin zu weniger energiedichten Speisen begünstigt wird. Süße Speisen werden intensiver und frühzeitiger wahrgenommen. Es ist schon ein Paradoxon, dass Diäten dazu führen, dass Fett und Zucker stärker aufgenommen werden. Nach Magenbypass ist es genau entgegengesetzt (30).

Das Spektrum der operativen Maßnahmen unterliegt ständigem Wandel

Abhängig von Gewicht, Begleiterkrankungen und Lebensstil des Patienten erfolgt individuell die Verfahrenswahl. Der proximale Roux-Y Magenbypass und die Schlauchmagenoperation sind international die am häufigsten angewandten Verfahren, zu dem sich der Mini-Magenbypass in einigen europäischen Ländern, im Nahen und Mittleren Osten und insbesondere in Indien hinzugesellt. Die Magenbandimplantation und die Biliopankreatische Diversion mit oder ohne Duodenalswitch kommen nur noch in Ausnahmesituationen zur Anwendung.

In Deutschland betrug die Anzahl an adipositaschirurgischen Eingriffen im Jahr 2013 7126 (0,0088 % der Population) und lag damit weit hinter Frankreich (37300 Eingriffe, 0,0565 % der Population), Belgien (12000 Eingriffe, 0,1072 % der Population) und den Niederlande (6807 Eingriffe, 0,0405 % der Population) (31).

Ausblick – Kombinierte Verfahren: Minimal-invasiv, endoskopisch und pharmakologisch

Die Entwicklung geht immer rascher voran. Forschungen, die darauf angelegt sind, die Mechanismen der operativen Verfahren zu untersuchen, bringen neue pathophysiologische Erkenntnisse, die auch Grundlage neuer pharmakologischer Entwicklungen sind.

Wir setzten bereits Medikamente ein, um bei extremen Formen der Adipositas Gewichtsreduktionen zu erreichen, damit die Patienten operationsfähig werden. Eine alleinige Weiterbehandlung mit Medikamenten ist jedoch nicht sinnvoll, da die Langzeitfolgen der Medikamentenbehandlung nicht bekannt sind und der rasante Wiederanstieg des Gewichtes bei Unterbrechung oder Beendigung der Wirkstoffgabe garantiert ist.

In niedrigen Gewichtsklassen versprechen bereits jetzt Kombinationen von endoskopischen Verfahren und Medikamenten eine erfolgreiche Gewichtsreduktion. Die weitere Kombination von minimal-invasiven Eingriffen am Magen mit endoskopischen und medikamentösen Komponenten ist derzeit in Erprobung.

Bei den Operationsverfahren sind regionale Unterschiede zu erkennen, die auf verschiedene Gründe zurückzuführen sind. Das ist weltweit, kontinental und national erkennbar. Wissen, Unwissen, ökonomische Aspekte und auch eine unterschiedlich beeinflusste Informationspolitik gehören dazu. Die weltweite Zunahme von Operationen beträgt jährlich 8-10 %, teilweise auch höher.

Besonders deutlich sind die Zuwachsraten beim Schlauchmagen aber auch beim Mini-Magenbypass. Die Verfahrenswahl wird sich weiter entwickeln. Entscheidend ist, dass man frühzeitig eingreift und im Edmonton-Score-System bis zur Gruppe 2 alle Patienten erfasst und Ihnen eine Therapie anbietet. Mit Spätstadien steigt dann das Risiko der, sonst sicher gewordenen, Chirurgie an. Immerhin ist das Risiko, an einem Eingriff zu versterben, bei einer Blinddarm- oder Gallenblasenentfernung um ein Vielfaches höher, als an einem Adipositas-Eingriff zu versterben. Wer allerdings adipös bleibt, der verkürzt sein Leben dramatisch.

Quellen

  1. WHO Fact sheet N°311
  2. Webber L, Divajeva D, Marsh T et al. The future burden of obesity-related diseases in the 53 WHO European-Region countries and the impact of effective interventions: a modelling study. BMJ Open. 2014 Jul 25;4(7):e004787. doi: 10.1136/bmjopen-2014-004787.
  3. http://easo.org/perception-survey./
  4. Charlton MR, Burns JM, Pedersen RA, Watt KD, Heimbach JK, Dierkhising RA. Frequency and outcomes of liver transplantation for nonalcoholic steatohepatitis in the United States. Gastroenterology. 2011 Oct;141(4):1249-53. doi: 10.1053/j.gastro.2011.06.061. Epub 2011 Jul 2.
  5. Calle EE, Rodriguez C, Walker-Thurmond K, Thun MJ. Overweight, obesity, and mortality from cancer in a prospectively studied cohort of U.S. adults. N Engl J Med. 2003 Apr 24;348(17):1625-38.
  6. Ariza MA, Vimalananda VG, Rosenzweig JL: The economic consequences of diabetes and cardiovascular disease in the United States. Reviews in Endocrine and Metabolic Disorders 2010, 11(1):1-10.
  7. Knoll K.-P.; Hauner H. Kosten der Adipositas in der Bundesrepublik Deutschland – Eine aktuelle Krankheitskostenstudie Adipositas 2008, 2(Heft 4):204-210.
  8. Harriger JA, Thompson JK: Psychological consequences of obesity: weight bias and body image in overweight and obese youth. Int Rev Psychiatry 2012, 24(3):247-253.
  9. Yu J, Fei K, Fox A et al.: Stress eating and sleep disturbance as mediators in the relationship between depression and obesity in low-income, minority women. Obesity research & clinical practice 2015.
  10. Morton GJ, Cummings DE, Baskin DG et al.: Central nervous system control of food intake and body weight. Nature 2006, 443(7109):289-295.
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  20. Chiappetta, S, Stier C, Squillante S, Theodoridou S, Weiner RA: The importance of the Edmonton Obesity Staging System in predicting postoperative outcome and 30-day mortality after metabolic surgery. SORARD 2016 in press DOI: http://dx.doi.org/10.1016/j.soard.2016.02.042
  21. AWMF Leitlinie „Adipositas – Prävention und Therapie“, Stand 30.04.2014
  22. Chirurgische Arbeitsgemeinschaft für Adipositastherapie (CA-ADIP): S3-Leitlinie: Chirurgie der Adipositas, Stand Juni 2010
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